MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

4. Februar 2016

Big Foot bedroht unsere Grundwerte

Eine fast wahre Geschichte von Heinz Gilomen
In den letzten Jahrzehnten hat in unserem Land die Zahl der Menschen mit grossen Schuhnummern beträchtlich zugenommen. Das führt zu Problemen wie Dichtestress und übermässiger Nachfrage nach Wohnraum. Auch die Kriminalität muss effektiver bekämpft werden. Jetzt will eine Initiative Abhilfe schaffen.

Bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung gibt es immer mehr Menschen, welche Schuhnummern von über 43 tragen, wie das Bundesamt für Statistik mitteilt. Dies bleibt nicht ohne Folgen auf unser Zusammenleben. So meint etwa der frühere Skelettverwalter der Universität Zürich, der in seiner Freizeit auch als Alltagsforscher tätig ist: «Wenn ich am Morgen mit dem Bus fahre, stehen mir immer mehr Menschen mit ihren grossen Schuhnummern auf die Füsse. Dieser Dichtestress ist inakzeptabel! » Auch die Firma Schön und Partner, welche die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt beobachtet, ist besorgt: «Die grossen Schuhnummern benötigen auch immer mehr Wohnfläche, was zu starken Belastungen des Wohnungsmarktes vor allem in den Agglomerationen führt. »

Die Grosse Volkspartei (GVP) nimmt sich seit Jahren der Problematik an und will die schädlichsten Auswirkungen mit zahlreichen Volksinitiativen eindämmen. Mit der sogenannten Schnürsenkel-Initiative (auch Lacette-Initiative) erzielte sie einen ersten Erfolg. Dabei ging es um ein Verbot von farbigen Schnürsenkeln, deren teils leuchtende Farben als arrogantes Symbol einer Kultur interpretiert wurde, welches den schweizerischen Grundwerten diametral zuwiderläuft; schliesslich haben die tapferen Eidgenossen beim Rütlischwur und bei Morgarten auch keine farbigen Schnürsenkel getragen. Es folgte die Masseneinfuhr-Initiative, welche Kontingente bei der Einfuhr von grossen Schuhnummern verlangte. Dies gefährdet zwar die Abkommen mit der EU (die Bilateralen), das ist aber der GVP trotz gegenteiliger Aussagen im Vorfeld der Abstimmung völlig egal. Im Gegenteil. Und die Kriminalität wurde mit der Einziehungs-Initiative bekämpft, welche die automatische Beschlagnahmung der Schuhe bei Delinquenten mit grossen Schuhnummern verlangte.
Die anderen Parteien waren jeweils nicht erfreut über die Erfolge der GVP. Für die Mitte-Rechts-Parteien schossen jeweils die Vorstösse übers Ziel hinaus, aber «man muss halt die Sorgen der Bevölkerung schon ernst nehmen». Die Linksparteien zogen es vor, sich still zu verhalten, «um das Thema nicht noch anzuheizen». Und so kommt nun die nächste Initiative, die Durchsetzungs-Initiative zur Einziehungs-Initiative. Sie listet nun alle Delikte detailliert auf, bei denen die Schuhe bei grossen Schuhnummern automatisch eingezogen werden sollen. Darunter sind auch Delikte wie Raufhändel oder Verstösse gegen Bestimmungen bei der Sozialhilfe. Was fehlt, ist etwa der Steuerbetrug, der auch bei grossen Schuhnummern nicht betroffen sein soll (wir haben das früher Klassenjustiz genannt). Im Wiederholungsfalle sollen auch noch die Strümpfe eingezogen werden. Das widerspricht zwar den Menschenrechten. Aber die GVP hat vorgesorgt: Das Bundesgericht soll als letzte schweizerische Rekursinstanz abgeschafft werden und internationale Vereinbarungen – z.B. die Menschenrechtskonvention – sollen gemäss Initiative ihre Gültigkeit verlieren.

Zwar meinen auch hier zahlreiche Experten, diese Initiative sei rechtsstattlich bedenklich. Doch nach den Ereignissen von Köln (sogenannte Grossfüssler belästigten Frauen massiv) legt die Sonntagszeitung flugs Quotenberechnungen vor, die eine vielfach höhere Kriminalität beispielweise der Schuhnummern 44 als der Schuhnummern 30 belegen sollen. Und ein bekannter Biertisch-Kriminologe meint, der Anteil der höheren Schuhnummern an kriminellen Delikten sei «schon sehr bedeutend». Auch Sozial- und Ethno- Podologen weisen darauf hin, dass mit grossen Schuhnummern vielfach ein Macho-Männlichkeitsbild verbunden sei und die Träger auch von ihrer Herkunft her kulturelle Werte verfolgen, welche deliktisches Handeln unter Umständen begünstigen. Sie regen an, beim Kauf von Schuhnummern ab 42 jeweils ein Faltblatt abzugeben, auf dem klargemacht wird, dass die üblichen Gesetze auch für Grossfüssler gelten. 


Zwar gibt auch Einwände besonnener Personen, etwa, dass generell auch die grösseren Schuhnummern mit Kriminalität nichts am Hut haben und über 99% strafrechtlich nicht auffällig werden. Oder dass Schuhnummern 30 wohl eher für Kinder mit wenig deliktischer Energie geeignet seien, und dass in keiner Grossfuss-Kultur etwa Mord, Diebstahl oder Vergewaltigung geduldet oder gar begünstigt würden. Aber zu leise und zu spät. Die Abstimmungszeitung war bereits gedruckt. Und der Übervater der GVP, der als Milliardär gerne Anker-Bildli sammelt und sich gelegentlich eine Volksabstimmung kauft, meint: «Gerichte gehören sowieso abgeschafft; sie verfälschen nur den Volkswillen. Und in Streitfällen steht das Generalsekretariat der GVP zur Verfügung, um ein Urteil zu fällen. Das ist schneller und billiger als die heutige von der Classe politique erfundene Lösung.» Nur eine andere grosse Wochenend-Zeitung meint, dass die Vernunft noch eine Chance habe und eventuell ein Wunder geschehe.
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Natürlich ist diese Geschichte von A bis Z erfunden, auch wenn Ähnlichkeiten mit real ablaufenden Politik-Prozessen durchaus gewollt sind. Aber das Bundesamt für Statistik würde nie die Schuhgrösse von Personen erheben, ganz einfach, weil das gesellschaftlich nicht von Bedeutung ist. So wie etwa die Haarfarbe oder die Stellung der Ohren. Und aus denselben Gründen würden ja auch die Polizeibehörden die Schuhgrösse nicht in die Kriminalstatistik aufnehmen und die Medien würden sie kaum in ihren Meldungen bei Unfällen und Verbrechen erwähnen. 
Bleibt die Frage: Warum um Himmels willen wird denn die Nationalität erhoben, aufgeführt, erwähnt, die in vielen Fällen ja ebenfalls völlig irrelevant ist? Hier im Falle der Kriminalität die Fakten gemäss der Polizeilichen Kriminalstatistik:Im Jahre 2014 wurden in der Schweiz 79'069 Personen auf Grund des Strafgesetzbuches angezeigt, davon 37'487 SchweizerInnen und 23’604 in der Schweiz wohnhafte AusländerInnen. Zudem wurden noch 17'978 nicht wohnhafte AusländerInnen einer Straftat beschuldigt. Diese sind allerdings in unserem Zusammenhang nicht besonders interessant, da es ja logisch etwas grotesk ist, jemanden ausschaffen zu wollen, der gar nicht bleiben will. (Es ist ja auch etwas schwierig, jemanden aus einem Restaurant zu werfen, der gar nicht drin sitzt.)
Wenn wir das nun in Bezug zur gesamten Wohnbevölkerung setzen, so sind sowohl bei der schweizerischen als auch bei der ausländischen Wohnbevölkerung je rund 1% straffällig geworden; die Unterschiede bewegen sich im Promillebereich. Anders formuliert: Rund 99% sind strafrechtlich nicht auffällig, weder bei der schweizerischen noch bei der ausländischen Wohnbevölkerung. Kriminalität ist offensichtlich ein seltenes Ereignis. Kein Wunder, meint auch die schweizerische Kriminalprävention (2013) «Die Schweiz gehört … weiterhin zu den sichersten Ländern der Welt, lassen Sie sich nicht von den teils erschreckenden Medienberichten verunsichern, die uns glauben machen, Kriminalität beherrsche den Alltag.». In der Tat ist das Risiko, bei einem Unfall in der Freizeit oder im Haushalt verletzt zu werden, etwa 150-mal grösser, als Opfer eines Raubes oder Entreiss-Diebstahls zu werden.
Straffälligkeit als seltenes Ereignis und kaum Unterschiede zwischen der schweizerischen und ausländischen Wohnbevölkerung – da braucht es schon eine abenteuerliche Interpretationsphantasie, um kulturelle, religiöse oder nationale Wurzeln von Kriminalität feststellen zu wollen. Um das an einem Beispiel zu erläutern: Auch unter der Politprominenz gibt es hie und da einen Fall strafrechtlicher Verwicklung. Und kein Mensch käme auf die Idee, die Kultur oder Ideologie einzelner Parteien als kriminogen zu verdächtigen oder zukünftig gar zu verlangen, die Parteizugehörigkeit von Übeltätern sei systematisch zu erfassen, «um endlich transparent und offen über diese Probleme zu diskutieren».  
Der forensische Psychologe Jérôme Endrass weist darauf hin, dass kriminelles Verhalten durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt sei und vor allem persönliche Dispositionen eine wichtige Rolle spielen. Die eindimensionale Ursachenforschung bei kulturellen oder religiösen Faktoren seien deshalb nicht zielführend. Wie recht er hat!  
Aber hat die Vernunft am 28. Februar tatsächlich eine Chance?

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